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Weinlese 2014:
"Wie ein Ritt auf der Rasierklinge"
26.9.2014 - Die Invasion der
Kirschessigfliege begleitet die Ernte des schwierigen Wein-Jahrgangs 2014. Der
neue Schädling befällt vor allem Rotweintrauben. Die Bekämpfung ist schwierig
und muss ohne Insektizide auskommen. Manche Experten empfehlen die Beschallung
der Weinberge als akustische Abwehrmaßnahme. Von Manfred Kriener.
Das Tierchen ist drei Millimeter lang,
rotäugig, mit orange-braunem Körper. Hübsch anzuschauen. Die Männchen tragen am
Ende ihrer transparenten Flügel einen schwarzen Punkt, an dem die Art gut zu
erkennen ist. Gestatten: drosophila suzukii, die Kirschessigfliege. Die Weinlese des Jahrgangs
2014 wird komplett von dem Insekt überschattet. In fast allen Anbaugebieten hat
sich der Schädling massiv breit gemacht. Anders als die einheimische „normale“
Essigfliege bohren die Suzukii-Weibchen statt
fauligen auch kerngesunde Beeren an und legen dort 300 bis 400 Eier ab, aus
denen sich nach einer guten Woche neue Fliegen entwickeln. Vor allem
Rotweinlagen sind befallen, teilweise mussten die Trauben schon vor der Reife
per Notlese auf die Kelter gebracht werden.
Auch der Champion wird heimgesucht
Philipp Kuhn, gerade zum neuen deutschen Riesling-Champion gekürt, meldet im nordpfälzischen Laumersheim zwar gute Resultate bei seinen bisher gelesenen
Rotweintrauben, aber auch „teilweise hohen Befall“ der neu eingewanderten
Fliegenart. Weil die Suzukii lichtempfindlich ist,
haben Kuhns Helfer in der Traubenzone alle Blätter rausgeschnitten und die
Früchte freigestellt.
Intensive Weinbergsarbeit sei bei diesem
schwierigen Jahrgang mit seinen Wetterkapriolen ohnehin notwendig, sagt Kuhn.
Der in vielen Anbaugebieten feuchte August war Gift für die Reben und auch
Mitte September kamen neue Regenfronten auf die Winzer zu. „Es ist wieder ein
Ritt auf der Rasierklinge“, bilanziert Kuhn, „aber noch sieht‘s gut aus, jetzt
muss es aber trocken bleiben.“
Im Kaiserstuhl hat sich Fritz Keller, Sohn
der badischen Winzerlegende Franz Keller, bei befreundeten Winzern aus Südtirol
informiert. Dort war die Kirschessigfliege schon ein Jahr früher eingewandert.
2008 war das in Asien beheimatete Insekt erstmals in Europa (Spanien) entdeckt
worden, 2011 kam es nach Deutschland, wo es zunächst aber kaum Schaden
anrichtete. In diesem Jahr ist der extrem milde Winter für die starke
Ausbreitung verantwortlich. „Der Boden war nicht richtig durchgefroren“, sagt
Friedrich Louis vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz in
Neustadt an der Weinstraße, so hätten die Fliegen gemütlich überwintert. „Bei
knackigem Frost stirbt der Großteil ab, dann haben wir im Frühjahr ein ganz
anderes Ausgangsniveau.“
Heavy Metal gegen die Suzukiis
Während die Winzer auf Hilfe der
Wissenschaft warten – Keller: „Wir brauchen jetzt Fachleute!“ – haben die
Kulturpflanzenforscher des Julius-Kühn-Instituts erst mal Infoflyer
gedruckt und eine Krisenhomepage eingerichtet. Es gibt auch eine Hotline. Doch
die Bekämpfung ist schwierig, weil mitten in der Lesezeit keine Insektizide
gespritzt werden dürfen. „Vielversprechend“ sei die akustische Paarungsstörung,
heißt es auf der Drosophila-Homepage. Weil bei der
Partnerfindung der Drosophiliden akustische Signale
eine große Rolle spielen, könnten Störbeschallungen helfen. Heavy Metal gegen
lästige Schädlinge? Oder doch lieber Mozart?
Wespen als natürliche Feinde wären
hilfreich, aber es gibt zu wenige. „Ablenkungsfrüchte“ könnten ausgebracht
werden, vielleicht einige Eimer Zwetschgen unweit der Reben verteilen. Auch
nach attraktiven Duftstoffen wird geforscht, um Fliegenfallen für den
Massenfang zu bestücken. Doch letztlich bleibt drosophila
suzukii eine große kleine Unbekannte, über die man
noch zu wenig weiß. Als Notlösung, so wird geraten, sollen die Winzer die
Blätter der Traubenzone entfernen und alle befallenen Früchte abschneiden. Die
dürfen aber nicht kompostiert werden. Sie kommen in einen transparenten
Plastiksack, den der Winzer anschließend in die Sonne stellt, damit die
Schädlinge per „Solarisation“ umgebracht werden.
Sonnenschein ist also doppelt nötig: Um die Oechslegrade
weiter zu puschen und um Suzukii zu meucheln.
Weißweinreben werden bisher verschont
Fritz Keller hat die Lage „einigermaßen im
Griff“, aber der Schädling, sagt er, habe das Potenzial, ganze Ernten zu
vernichten. Jetzt freut sich der Kaiserstuhl-Winzer erst mal über aromatische
Trauben und schöne Mostgewichte bei den bisher gelesenen Partien, ein Drittel
der Ernte sei drin. Dagegen hat die Rieslinglese an
Mosel, Nahe und im Rheingau gerade erst begonnen. Dort richtet die
Kirschessigfliege weniger Schaden an, weil sie auf dunkle Früchte spezialisiert
ist. Von den Weißweinreben sind nur Grauburgunder und Traminer,
die sich bei voller Reife leicht rotbraun färben, minimal befallen.
"Dem Viech gefällt's bei
uns!"
Besonders kritisch ist die Lage im großen
Rotweinanbaugebiet Württemberg. „Dem Viech gefällt‘s
bei uns!“ kommentiert Spitzenwinzer Rainer Schnaitmann
die Invasion der Suzukiis. Das Tückische sei ihre
rasend schnelle Ausbreitung. Schnaitmann: „Du siehst
absolut nichts und drei Tage später ist alles befallen.“ Das Dilemma: Die von
den Larven angeknabberten Beeren sind Einfallstore für Essigbakterien. Wer die
befallenen Früchte nicht rausschneidet holt sich die
Essigfäule. Manche Genossenschaften konnten befallene Traubenpartien wegen
Essigstichs schon nicht mehr verarbeiten. Schnaitmanns
Bilanz: ein schwieriges Jahr, aber es könnte trotz allem noch was werden, wenn
das Wetter jetzt mitspiele. Die nächsten zehn Tage entscheiden.
Paul Fürst vom Weingut Rudolf Fürst in Franken
ist der coolste der von uns befragten Winzer. Es gebe angesichts der neuen
Plage zwar berechtigte Zukunftsängste unter den Winzerkollegen, aber er habe
sich intensiv um den neuen Jahrgang gekümmert und sei mit dem Ergebnis durchaus
zufrieden. Mittlere Mostgewichte, gute Säurewerte und aromatische Trauben. Der Suzukii-Jahrgang 2014 wäre demnach gar nicht so schlecht.
Text: Manfred Kriener